Der sprechkünstlerische Workshop „Chorisches Sprechen“ mit Bernd Freytag, einem der renommiertesten Sprechchorregisseure im deutschsprachigen Theaterraum und ehemaligem Schüler von Einar Schleef, bot im November Studierenden die Möglichkeit der praktischen Arbeit zum chorischen Sprechen. Bernd Freytag ist Autor, Chorleiter und Regisseur. Er arbeitete u.a. mit Einar Schleef und Frank Moritz als Chordarsteller, Chorleiter, Schauspieler und Regieassistent. Viele Jahre gehörte er zum Kernteam des Regisseurs Volker Lösch und war vor allem für die Chorgestaltung verantwortlich. Neben seiner Tätigkeit als Autor und Regisseur unterrichtet Freytag gegenwärtig Chorisches Sprechen an der Universität der Künste und der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin.
Stimmen von Studierenden zum Workshop
Die Zeit, der Raum, die Menschen, das Potential wurden in einer Genauigkeit wahrgenommen, dass sich die Aufmerksamkeit schärfte, ebenso wie das Interesse. Eine Idee von Methodik und Didaktik chorischer Arbeit keimte auf. Es waren ergiebige Stunden. Die Exaktheit des Klatschens und die zu gewinnende Tiefe des Textes bleiben eindrucksvoll zurück. Vielen lieben Dank Herr Bernd Freytag.
Die Verbindung von Theorie und Praxis ist unfassbar wichtig. Ich danke der Hochschule und der Hochschulrektorenkonferenz HRK) sehr, dass sie Projekte wie diese gefördert haben und kann nur sagen: Bitte weiter so. Das sind Sternstunden der Sprechwissenschaft in lebendigem Lernen. Es gibt kaum eine bessere Verknüpfung als selbst aktiv zu werden und als Teil der Gruppe Erfahrungen zu sammeln. Da werden Begriffe griffig greifbar und Sinnhaftigkeit zieht ein in dieses sinnig-sinnliche Fach der Sprechkunst / Sprechwissenschaft. Sophia Güttler
Danke für den Workshop! Diese Stunden haben meine Vorstellungen zu Chorsprechen erweitert und strukturiert. Nicht nur, dass ich neue Methoden und Herangehensweisen kennengelernt habe, der gesamte Komplex Chorsprechen ist für mich nun noch besser in mein Studium und meinen weiteren Wissenstand einzuordnen. Ich danke Herrn Freytag für dieses wunderbare Angebot und auch für die weiterführenden Gedanken, die mich noch einige Stunden beschäftigt haben. Des Weiteren danke ich der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), durch deren Gelder dieser Workshop erst zustande kommen konnte. Ohne diese Unterstützung hätte der Workshop nicht stattfinden können und das wäre (jetzt nach der Teilnahme bewertbar) außerordentlich schade gewesen. Isabelle Jäger
Die Studentin Teresa Finke schreibt in ihrem Erfahrungsbericht:
Am 29. und 30.11.2019 hatten die Studierenden der Sprechwissenschaft im Rahmen der Kleinen Fächerwochen die Möglichkeit und das Glück, Bernd Freytag in einem Workshop zum Chorischen Sprechen kennenzulernen und mit ihm zu arbeiten. Ich habe am Samstag, den 30.11.2019 an dem Workshop teilgenommen und möchte hier von einigen Gedanken und Erfahrungen berichten.
Was ist ein Chorleiter und ab wann ist ein Chor überhaupt ein Chor? Dies sind grundlegende Fragen, die Freytag uns zu Beginn des Workshoptages stellt. Sprechen wir schon von einem Chor, wenn zwei Menschen gemeinsam sprechen? In der Antike bestand ein Chor aus 12 bis 16 Menschen. Ein Chorleiter kann als Dirigent des Chores fungieren. Er formt den Chor, gibt Impulse in den Chor hinein – arbeitet aber auch mit den Impulsen und Ideen des Chores. Hier stellt sich mir dir Frage, wie viel Vorarbeit von Nöten ist, um chorisch zu arbeiten. Muss ich als Chorleiterin vor dem Beginn der Probe eine fertige Partitur erarbeiten? Freytag findet hierauf keine endgültige Antwort. Es ist wichtig eine genaue Vorstellung davon zu haben, wie ich einen Text verstehe und was in diesem steckt. Genauso wichtig ist es aber auch, offen für neue Gedanken und Impulse zu sein, die erst im Arbeitsprozess entstehen. Es macht also wenig Sinn, sich verbissen an eine Partitur zu halten – dennoch hilft diese dem/der Chorleiter*in die sprecherische Umsetzung eines Textes zu planen und festzuhalten.
Der deutschen Sprache liegen rhythmische Strukturen zu Grunde, die es zu erkunden gilt. Die chorische Arbeit ist somit vorrangig rhythmische Arbeit. Der Rhythmus der Sprache soll – wie Freytag betont – nicht unabhängig vom Körper erfahren werden. Chorische Arbeit ist somit eine sehr körperliche Arbeit. Um den Rhythmus eines Textes zu verstehen, können wir beispielsweise stampfen und klatschen. Der Ursprung des Chores findet sich schon in der antiken Totenbeschwörung wieder. Durch den Tanz um das Grab und das Stampfen auf dem Boden suchte man Kontakt zu den Toten. Diese Suche nach Kontakt zum Boden macht sich Freytag in seiner Arbeit zu Nutzen. Die erste praktische Übung des Workshops besteht darin, Rhythmen zu stampfen und zu klatschen. Freytag gibt die Rhythmen vor und legt vor allem Wert auf starke Akzentuierungen und Staupausen. Daraufhin teilt er uns in Gruppen, die gleichzeitig verschiedene Rhythmen klatschen. Hierbei ist es wichtig, innerhalb der Gruppe beieinander zu sein und aufeinander zu achten. Das chorische Sprechen ist gruppendynamische Arbeit. Freytag betont, dass ein Chor sich über Konfliktsituationen bildet. In der Arbeit entstehen sowohl Differenzen innerhalb der Chordarsteller*innen, als auch dem Chor und dem/der Chorleiter*in. Auftretende Differenzen sollen nicht unterbunden werden, sondern für den künstlerischen Prozess genutzt werden. Die körperlich erfahrenen Rhythmen übertragen wir nun auf den Text, den wir auf das Klatschen sprechen. Wir arbeiten mit dem Text „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelinek:
jeder / kennt sie / keiner / will sie
jeder / kennt sie / keiner / will sie
jeder / kennt sie / keiner / will sie
- – – / – – / – – / – – (gleiche Schläge)
- – / – – / – / – – (fett – betont)
- – – – – – – – – (schnell)
Hierbei ist es erstaunlich zu beobachten, wie der zuvor körperlich erfahrene Rhythmus des Textes das Sprechen desselben verändert. Er wird u.a. dynamischer, akzentuierter und dadurch konkreter. Daraufhin erarbeiten wir eine chorische Sprechfassung eines längeren Textabschnittes. Zuerst lesen wir ihn gemeinsam. Freytag teilt uns keine vorgefertigte Partitur aus. Er teil seine Gedanken zu dem Text mit uns und fragt uns nach unseren Assoziationen. Hierbei spielt das Prinzip Call and Response eine große Rolle. Er gibt vor, wie er sich Textpassagen sprecherisch vorstellt. Wir versuchen seine erläuterten Subtexte zu verstehen und sprechen ihm nach. Er korrigiert uns immer wieder und versucht seine Vorstellungen mit unserer Realisation zu vereinen. Hierbei legt er großen Wert auf Artikulationspräzision, Pausen, Haltungswechsel, gemeinschaftliche Sprechimpulse und das Beieinander sein. In der Arbeit entscheiden wir selbst, ob und wie wir Pausen, Zäsuren, Betonungen und Subtexte in unserem Text markieren.
Eine der wichtigsten Fragen, mit denen wir uns im Laufe des Workshops beschäftigen ist die Frage nach dem Individuum und wie dieses dem Chor gegenübersteht oder sich innerhalb eines Chores verhält. Gegenwärtig wird über diese Thematik auch in der Theaterwissenschaft ein spannender Diskurs geführt. Freytag spricht sich dagegen aus, dass das Individuum innerhalb eines Chores verloren geht. Innerhalb der chorischen Arbeit mit Bernd Freytag wird mir klar, wie sehr das Individuum grade innerhalb eines Chores aufblühen kann – gerade dadurch, dass es einen Schutzraum genießt und sich darin dann frei bewegen kann.
Die Chorische Arbeit mit Bernd Freytag war eine unglaublich spannende und wertvolle Erfahrung für mich. Der Workshop hat mir sowohl einen Einblick in die Arbeit des/der Chorleiter*in ermöglicht, als auch in die eines/r Chordarsteller*in. Besonders gut gefällt mir der musikalisch rhythmische Ansatz mit Sprache und Sprechen zu arbeiten. Bernd Freytag hat mein Interesse und die Freude am chorischen Arbeiten geweckt. Es wäre eine großartige Chance, wenn ich in Zukunft bei ihm hospitieren dürfte, um mehr über das chorische Sprechen zu lernen.